Wie es dazu kam? Dauert etwas länger. Also: Liegt sie auf der Couch und wimmert. Ich drehe den Fernseher ein bisschen lauter, weil ich es nicht mehr hören kann! Aber die Fernbedienung funktioniert in beide Richtungen und damit meine ich, dass auch sie jetzt lauter ist. Gerade so laut, dass die Anstrengung, die ich aufwenden muss, um den Fernseher noch zu hören, so nervig ist, dass es keinen Spaß mehr macht. Aber ich weiß auch nicht, wie ich sie abstellen kann. Deswegen beiße ich die Zähne zusammen und starre fest entschlossen auf die Mattscheibe. Die eigentlich eine HD-Scheibe ist, seit ihrem letzten Geburtstag.
„Schatz?“ Ich finde ich habe den Fernseher eben laut genug gestellt, dass ich so tun kann, als ob ich sie nicht höre. „Schatz!“ Diesmal hat sie ihren ganzen Körper erhoben, um mich zu rufen, als würde sie ihrem Schrei noch einen Schubs in meine Richtung mit auf den Weg geben wollen. „Ja?“, frage ich. „Kannst du mir eine Wärmflasche bringen?“ Und dann platzt mir der Kragen: „Ich habe den ganzen Tag gearbeitet! Dann komme ich nach Hause und räume dieses Schlachtfeld hier auf! Ich habe gekocht, ich habe dir dein Essen gebracht, ich habe dir Tee gekocht und den habe ich dir auch gebracht. Ich habe dir unsere Bettdecke von oben geholt und dich damit zugedeckt, obwohl ich es hasse wie die Pest, dass du die hier unten auf der Couch in den Katzenhaaren liegen hast! Ach ja, und apropos: deine Katze habe ich auch gefüttert und eben raus gelassen! Und dann wieder rein gelassen! Und dann wieder raus gelassen! Damit sie mich dann vom Fenster meines Arbeitszimmers aus anschreit, damit ich sie wieder rein lasse! Damit sie sofort zur Terrassentür rennt, um wieder rum zu maunzen und ich sie wieder raus lasse! Außerdem habe ich …“ Ich verstumme, weil sie mir mit geschlossenen Augen und hochmütig weg gedrehtem Kopf ihre rechte Handinnenfläche vor das Gesicht hält.
„Du hast deinen Finger an Alufolie geschnitten! Nicht Krebs im Endstadium!“ Sie reißt jetzt doch die Augen auf und starrt mich giftig an. Ich erschrecke. „Huah!“ mache ich. „Du willst also, dass ich Krebs habe?!“, fragt sie. Ich winke ab und lehne mich zurück. Ich hab‘ keinen Bock mehr auf diese Psychospielchen. „Dass ich jetzt auch noch selbst aufstehen muss!“, keift sie. Von Aufstehen bemerke ich übrigens nichts. Unter dem riesigen Berg von Decke rumort es zwar, aber eine Tendenz zum Aufrichten kann ich nicht erkennen. Warte ich also noch ein bisschen. „Das ist das allerletzte! Wenn ich schwanger wäre, müsstest du das auch machen!“ Ich grunze unverschämt. Das mache ich oft. Wenn ich zu faul bin zum Lachen, aber unbedingt ausdrücken will, wie lächerlich ich irgendwas finde. Sie! „Geh ich eben selbst!“ Und tatsächlich. Mit ein paar beherzten Armschwüngen wickelt sie unsere gigantische Bettdecke um ihren dünnen Körper und erhebt sich. Sie sieht aus wie ein Wrap auf kleinen dürren, weißen Zahnstocherbeinen.
„Oooooooh, mein armer Mösezahn!“ klagt sie und ich halte mir meine linke Hand wie ein Sonnendach über die Augen. So beobachte ich, wie sie notfallmäßig versucht zum Fenster zu eilen. Was nicht geht, denn sie kann nur kleine Trippel-Schrittchen machen. Dort steht nämlich das kleine Mistvieh und wischt erbärmlich mit ihren Matsch-Pfoten an der Fensterscheibe herum. Sie will wieder rein. „Ich mach dir auf! Hat der böse Mann dich raus in die Kälte geschickt?!“ Sie macht einen Spitzmund und große Augen. Eine Träne kullert ihr Gesicht entlang. Ich klappe meinen Sonnenschirm nach unten, so dass ich nichts mehr sehe. Dabei schüttele ich den Kopf. Ich muss lachen, aber ich will nicht.
Im nächsten Moment höre ich verschiedene Dinge gleichzeitig: Der Fernseher wird lauter, weil der Werbeblock beginnt. Ich höre das Retsch-Retsch des Fenstergriffs, das empörte und gleichzeitig erbärmliche Geschrei ihrer hässlichen Katze. Rascheln der Wrap-Bettdecke. Das Wort „Mösezahn“ und einen verblüfften, in Tränen getränkten Quietscher, dicht gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Sie steht nicht mehr auf ihren Zahnstocher-Beinen, aber sie ist immer noch komplett in die Decke gewickelt. Wie ein gekrümmter weißer Engerling liegt sie am Boden. Die Katze tritt schnurrend auf ihr herum und hinterlässt kleine braune Pfötchen auf ihr. Auf unserer Decke! Die ich dann jetzt also auch noch frisch beziehen muss.
„WTF!“, sage ich und stehe auf. „Ich wollte ausweichen!“, wimmert meine Ex, die der Engerling mit Menschengesicht ist. Sie macht keine Anstalten aufzustehen. Stattdessen windet und wiegt sie sich hin und her. Die Katze stört das nicht. „Alles nur, weil mir so bitterkalt ist und ich in Decken gehüllt selbst in die Küche humpeln muss!“ Sie schafft es von innen die Decke noch fester um sich zu wickeln, so dass ihr Gesicht jetzt quasi aus der winzigen Öffnung, die sie dafür vorgesehen hat, heraus quillt, wie früher bei diesen Schlüsselanhänger-Tieren, deren Augen aus dem Kopf quellen, wenn man drauf drückte. Ich gehe auf sie zu und mache einen betont großen Schritt über sie. Die Katze erschrickt und rennt weg. Dabei stößt sie sich scheinbar schmerzhaft mit den Krallen ab und es wird erneut gewimmert. Falls jemand fragt: Meine Ex liegt in eine Bettdecke gehüllt auf dem Küchenboden und heult!