Stau. Ich hasse Stau! Noch ist es harmlos, stockender Verkehr. Wir halten kurz in einem Fastfood-Restaurant. Jeder von uns isst eine Kleinigkeit und nimmt sich ein 0,5-Liter-Getränk mit. Wir sind beide vollkommen übermüdet, da wir schon den ganzen Tag „roadtrippen“ und jede Menge neue und spannende Eindrücke verarbeiten müssen. Aus dem stockenden Verkehr wird schließlich Stau und aus dem Stau eine Totalsperrung der gesamten Schnellstraße. Mehrere LKWs seien mit Auto- und Motorradfahrern ineinander gerast, woraufhin es zu einem gigantischen Verkehrschaos kommt.
Da stehen wir nun, meine Ex und ich. Das ganze übrigens erst kurz nach der Trennung – aber der Urlaub war auch schon lange gebucht und somit wollte ihn keiner verfallen lassen. Trennung statt Verliebtheit! Totalsperrung statt Urlaub! Fantastisch! Sie ist vollkommen aufgebracht und heult ununterbrochen wegen des Unfalls. Klar, der klingt und ist auch wirklich unglaublich schlimm. Mein Heulen würde jetzt aber auch niemandem helfen – ebenso wenig wie meine ansteigende Müdigkeit. Eigentlich bin ich fast froh, nicht fahren zu müssen …
Wir stehen schon über drei Stunden und es ist kein Ende in Sicht. Ich versuche einfach zu entspannen, da noch eine vierstündige Fahrt vor uns liegt. Irgendwann lasse ich mich von ihrem Gewimmer nicht mehr nerven und schlafe einfach ein – mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt und trotz Lenkrad, das sich beharrlich in meine Beine stemmt. Ich träume wirres Zeug und irgendwann in meinem Traum höre ich die Autotür. Im Halbschlaf realisiere ich, dass das kein Traum ist und tatsächlich die Autotür geknallt hat. Verschlafen öffne ich meine Augen und sehe, dass der Beifahrersitz leer ist. Hat jemand meine Ex geklaut? Als ob!
Ich frage mich, wo sie jetzt hingegangen sein könnte. Draußen ist es bereits dunkel und wir stehen immer noch mitten in der Totalsperrung. Wegen eines Engpasses bei der Autovermietung haben wir einen riesigen Van bekommen, der hinten leer ist und vorne nur die zwei Sitze hat. Ursprünglich hatte ich einen Mittelklasse-Wagen gebucht. Ich höre hinten im Van ein Gruscheln und drehte mich fast erschrocken um. Die Tür, die mich geweckt hat, war wohl die hinten. „Was machst du da?“, frage ich sie verwirrt. „Wieso sitzt du auf dem Boden?“ Tatsächlich hockt sie in der hintersten Ecke des Vans und faucht mich böse an. Ihre Augen funkeln in der Dunkelheit, die durch die wenigen Scheinwerfer um uns herum nur noch finsterer wirken. „Halt die Fresse und lass mich in Ruhe!“, zischt sie bösartig.
Ich drehe jetzt nicht nur mein Kopf, sondern meinen gesamten Körper nach hinten. „Was zur Hölle machst du da?“, frage ich lauter werdend. Nochmals zischt sie mich an, dass ich mich umdrehen und meine Fresse halten soll. Ich nehme mein Handy aus der Ablage im Armaturenbrett und aktivierte die Taschenlampenfunktion. Weil’s mir jetzt einfach reicht mit den Ratespielchen. Ich leuchte selbstbewusst in ihre Richtung. Sie hat, wie schon den ganzen Tag, ihren schwarzen kurzen Rock an und den 0,5-Liter-Becher unseres Fastfood-Stopps in der Hand. Mein gesamter Körper schießt in dem Moment nach oben, da die einzelnen Teile, die ich sehe ein sinnhaftes Ganzes ergeben und ich reiße meine Augen auf.
„Sag mal, pinkelst Du gerade in den Van?“ Meine Ex verharrt in ihrer Bewegung und ich leuchte mit der Taschenlampe jetzt direkt auf sie drauf. Ich bin vollkommen aufgebracht, werde lauter und frage erneut, während meine Stimme sich fast überschlägt: „Ob du in den Van pisst?“ Ich bekomme außer einem Schnauben keine Antwort mehr, aber dafür kann ich jetzt hören, dass es tatsächlich passiert …