„Ich muss Dir was sagen …“ Sie sieht mich mit ihren haselnussbraunen, großen Augen an. Mit Augen, denen man eigentlich nichts abschlagen kann. Ich bin mit der Situation total überfordert. Eben gerade hatten wir noch den allergrößten Streit und ich bin mir nicht sicher, ob wir jemals wieder miteinander sprechen. Dann sagt sie, dass sie mir was sagen muss – ganz dringend. Bevor wir vielleicht für immer auseinander gehen. Was wird jetzt kommen? Hat sie mich betrogen? Hat sie sich damals, als wir über ein Kind gesprochen haben, vielleicht doch von ihrem Wunsch-Samenspender schwängern lassen und dann abgetrieben? Hat sie mich betrogen? Sicher hat sie mich betrogen. Am besten noch mit einem Mann! Sie scheint ihr Gewissen erleichtern zu wollen und was könnte es bitte sonst sein?
Sie atmet tief durch. Jetzt kommt es also. Ich baue schon mal meine Mauer in mir auf, um nicht gleich irrational um mich zu schlagen, wenn sie mir den Kopf gleich mit einem Vorschlaghammer zertrümmert. Ich bin bereit. Ok. Sag’s mir. Sie schaut mich wieder an. Verzweifelt. Schuldig. Nun mach schon! Sag es!
„Es belastet mich sehr.“ Sie zögert. Ich versuche sie aufmunternd anzusehen, was mir kaum gelingt. „Ich habe schon mit Tommy drüber gesprochen. Mit meinem Vater wollte ich auch drüber sprechen, hab es dann aber doch nicht gemacht, weil ich mich so billig fühle und so schlampig und bitchy. Es tut mir so leid, dass ich Dir das angetan habe!“ Jetzt hat sie Tränen in den Augen und jetzt ist es ja wohl klar. Sie hat mich betrogen. Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Sie redet mit diesem Jüngling über ihre Affäre? Mit dem Kerl, der ihr dumme romantische Komödien auf DVD schenkt und hier ständig metrosexuell abchillt, weiß Bescheid!? Und ich nicht? Ich bin kurz vorm Explodieren! Wieder versuche ich sie ermutigend anzusehen, damit sie weiterspricht.
„Weißt Du noch, letztes Jahr, also Du in den USA arbeiten wolltest und das Visum nicht bekommen hast? Als Du extra nach fliegen Berlin musstest, um Fingerabdrücke abzugeben und Du dann Deinen Flug nicht stornieren konntest und einen neuen buchen und zahlen musstest?“ Ich starre sie fassungslos an. Natürlich weiß ich das. Ich war dabei! Ich habe insgesamt 2.000 Euro für die Flüge bezahlt, von denen ich einen Hin- und Rückflug nicht in Anspruch nehmen konnte! Wie könnte ich das vergessen? Und hat sie mich da etwa betrogen? Als ich in Berlin war? Als ich in den USA war? Wann hat sie mich betrogen? Der werde ich es noch zeigen, diesem dreckigen kleinen Miststück! Sprich endlich weiter und sag mir, wer der Arsch war!
„Du hast das Visum meinetwegen nicht bekommen! Das tut mir leid.“ Sie macht einen erleichterten Laut und grinst ein wenig. „Puh. War gar nicht so schlimm. Jetzt ist es raus. Gut. Es geht mir viel besser. Tommy hatte Recht!“ Ich starre sie mit offenem Mund an. „Und wie genau willst Du Schuld daran sein? Nicht mal mein Arbeitgeber hatte eine Ahnung, wieso das mit Berlin dazwischen kam!“
Wieder sieht sie wie die personifizierte Schuld aus und ihr Grinsen ist verschwunden. „Naja … also ich wollte Dir das eigentlich nie sagen, aber … ich finde Du hast ein Recht darauf es zu erfahren. Weil Du ja auch so viel Ärger hattest … Außerdem wollte ich nicht, dass Du mich verurteilst, weil ich doch Deine Meinung zu so Sachen kenne.“ Ich starre sie an und werde langsam ungeduldig. „Welche Sachen?“ Sie atmet sehr tief durch und flüstert leise: „Pornos.“ Mein Kinn klappt erneut nach unten. „PORNOS?“ Ich kann mich kaum noch halten, denn ich verstehe nichts.
„Ich weiß doch, dass Du keine Pornos magst … Aber weißt Du noch, damals mit meinem Ex? Der hatte doch mal Pornos auf dem Laptop, die ich gefunden habe. Als wir dann getrennt waren und ich alleine gewohnt habe – zwei Jahre bevor wir beide zusammengekommen sind … Na, da hab ich mir mal zwei Pornos online angesehen. Mit Männern und halt …“ Sie stockt. Dann flüstert sie weiter: „Na und halt auch mit … Schwänzen! Naja … und es ist ja wohl klar, dass die USA das rausgefunden haben und Du deshalb das Visum erst mal nicht bekommen hast.“ Die Tränen schießen ihr in die Augen. „Es tut mir so unendlich leid, ich hasse mich so sehr dafür, dass ich Dir das angetan habe. Ich wollte, dass Du das weißt. Unbedingt. Tommy hat gesagt, dass ich es Dir sagen soll. Er hat mich aber generell auch nicht so ernst genommen und na ja … ich verstehe vollkommen, wenn Du mich jetzt hasst.“
Ich starre erst sie an und dann aus dem Fenster. Vielleicht ist es ja gar kein so großer Verlust, wenn wir niemals mehr miteinander reden … Draußen geht ein Paar vorbei. Wild knutschend. Ob die deswegen jetzt wohl auch nicht mehr in die USA einreisen dürfen?