Wieder mal sitze ich beim Essen und meine Ex wuselt geschäftig um mich herum. Keine Ahnung was sie treibt. Heute war ein neutraler Tag und ich bin überhaupt nicht irgendwie gelaunt. Ich sitze und esse. Kaue und starre auf den Tisch. Müde bin ich. Ja, ok, dösig. Ich schmunzle halbherzig … dösig – was für ein dämliches Wort! Sie reißt mich aus meinen Gedanken: „Ich ertrage das nicht mehr!“ Den Mund voll und ein angebissenes Vollkornkrustenbrot, das meine Ex immer beim Bäcker einkauft, mit gekochtem Schinken in der Hand, halte ich inne. Die Chamäleon-Strategie, sie nur mit meinen Pupillen zu verfolgen ohne meine restliche Körperhaltung zu verändern, hatte ich ihm Laufe der Jahre mit ihr perfektioniert und wende sie jetzt auch an. „Auf keinen Fall!“ Theatralisch, mit bebenden Brüsten und einem Hauch ihres Bruno Banani Parfums in mein Gesicht wehend, lässt sie sich auf den Stuhl neben mich fallen. „Und du!“ Sie sieht mich direkt an und ich schlucke trocken. „Kotzt! Mich! Auch! An!“
Ich huste und nehme schnell einen Schluck Tee. Das trockene scheiß Vollkorn-irgendwas-Brot hatte mir die ganze Kehle aufgeschmirgelt. „Ja, da kannst du husten so viel du willst, mein Freund! Hiermit …“ Sie grabscht nach der Packung Kochschinken, deren Inhalt sich auf meinem Brot befindet: „Ist jetzt Schluss!“ Ich setze meine Tasse ab und sammele mich. Atme tief durch. „Schatz“, sage ich und sofort sackt die Frau, die eben noch kurz vor einem Herzinfarkt stand, vor mir in sich zusammen und Tränen kullern über ihr Gesicht. Ich seufze. Und verstehe eigentlich gar nichts. „Ich habe Videos gesehen!“ Sie schluchzt und hebt ihren Zeigefinger. Ich kann sehen, dass sie einen undefinierbaren Fetzen Papier in ihrem kleinen Fäustchen hält. „Was für Videos?“ Um sie zu versöhnen, schiebe ich meinen Teller von mir weg. Während mein Magen knurrend dem restlichen Brot darauf hinterher lechzt, signalisiere ich meiner am Boden zerstörten Freundin, dass mir ihr Problem wichtiger ist als mein Abendessen und sie wendet sich mir vertrauensvoll zu.
„Von Tieren. Die geschlachtet werden.“ Oh nein, nicht das! Sie bäumt sich auf: „Aber ich zeige ihnen ihr wahres Gesicht!“ Wem? Den Tieren? Ich traue mich nicht, das zu fragen. „Ich zeig’s dir“, sagt sie unaufgefordert und entfaltet den Zettel auf dem Tisch direkt vor mir und neben meinem Schinkenbrot. Eine Bleistiftzeichnung, die durch das Knittern, Falten und die Tränenflüssigkeit arg verwischt ist, zeigt eine Art Teufel mit einer Nagelfeile in der Hand. Der Teufel trägt einen Arztkittel und schaut böse auf einen Menschen, der vor ihm falschrum, wie eine Fledermaus, von der Decke baumelt. „Jaa …“, sage ich zögernd, um Zeit zu schinden. „Ja, guck, das ist ein Ochse mit langen Hörnern, wie er gleich einen Mann schält, der da zum Ausbluten hängt! Wenn sie sehen, wie alles in einem Paralleluniversum wäre, dann hören sie auf damit! Sollen sie sich vorstellen, wie Ochsen ihnen die Haut abziehen und sie dann einfach ausbluten lassen, damit sie ihre Brote mit ihrem Fleisch belegen können!“ Meine Ex blickt irgendwie apathisch und finster vor sich hin und ihre Nüstern weiten sich, während sie schnaubt, sodass sie selbst auch ein bisschen wie ein Rind aussieht. Ich schlucke wieder hart. Meine Augen suchen mein Schinkenbrot. „Mach’s gut!“ denke ich und räume meinen Teller ab.