„Hunger!“ Es ist sicher das 368. Mal, dass sie das sagt. „Ich weiß“, sage ich und fahre weiter. Ehrlich gesagt habe ich selbst auch Hunger, aber was sie da abzieht ist wirklich über alle Maßen kindisch. Trotzdem muss ich lachen. „Können wir was essen?“, fragt sie und durch ihren ganzen Körper geht ein hoffnungsvoller Ruck. Ihr Gesicht ist erhellt und sie strahlt mich an – ganz so als hätte sie das jetzt zum ersten Mal gefragt und als wäre nur vorher noch nie jemand auf die Idee gekommen. Hat sie aber. Kam aber jemand. Es ist nur einfach nirgendwo Essen aufzutreiben. Wir sind irgendwo im nirgendwo und weder haben wir was dabei, noch begegnet uns ein Restaurant, Supermarkt oder sonstiges.
Ich muss zugeben, die Situation ist bedenklich. Denn wir sind wie Tiere, wenn wir hungrig sind … „Ich beiße gleich ins Lenkrad“, sage ich. „Was wäre, wenn ich ein Stück Nacken aus dir herausschneide? Und brate. Brauchst du den überhaupt?“, fragt sie. Und so als könne sie es nicht erwarten, streift sie meinen Nacken mit zwei ihrer Fingernägel. Das kitzelt mich oder so, was weiß ich, jedenfalls schreie ich „HÖR AUF!“ und schlage ihr auf den Arm. „Dann fahr‘ mich endlich zu Nahrung!“, schreit sie zurück und ich schnaube vor Wut.
„Und wo soll ich dich bitte hinfahren?“, frage ich und deute nach draußen, wo sich Wiese an Wiese an Wiese an Wiese reiht. „Ist mir egal!“, singt oder keift meine Ex, ich kann es nicht genau beschreiben. „Soll ich kurz anhalten, damit du am Wegrand grasen kannst, oder was?!“ Ich gebe zu, dass meine Stimme etwas schrill klingt, während ich das frage. Meine Ex sagt: „Alter, sobald du anhältst, beiß ich dir in den Arm und fress‘ den!“ Ich mache ein WTF-Gesicht und widme es ihr. „Hallo, ich kenne jemand, der hat schon mal ein Stück von jemandes Arm raus gebissen!“, verteidigt sie sich und ich mache das angewidertste WTF-Gesicht, das ich kann. „Lange Geschichte“, sagt sie. „Hey guck! Ich muss nicht grasen!“, brüllt sie dann und klopft hysterisch mit ihrem Finger gegen ihre Fensterscheibe. „Es gibt Fleisch!“ Ich gucke raus. Sehe aber nur Schafe auf den grünen Wiesen rumstehen.
„Gibt es Schafe?“, murmele ich und sie ruft triumphierend: „Halt an, ich reiß mir ein Schaf!“ Der Lachanfall, der aus mir raus bricht, schüttelt mich einmal komplett durch. „Was?“, frage ich grölend. „Du willst dir ein Schaf reißen? Was bist du? Wolverine?!“ Sie schüttelt gespielt empört den Kopf und sagt: „Wolverine, Mandarine, mir egal, Hauptsache Essen!“ Ich sehe sie an: „Ja, genau. Eins auf Beinen! Das will ich sehen, wie du mit deinem durchtrainierten Körper über Felder und Auen sprintest, um ein Schaf niederzustrecken.“ Ich lache: „Oder kontrahierst du auf deinem Sixpack, wie Chris‘ Ex?“ Ich schütte mich aus vor Lachen, sie beherrscht sich aber und erklärt trocken: „Nein. Ich sprinte nicht würdelos über Wiesen, wie irgendein verrücktes Pferd. Ich gewinne sein Vertrauen.“ Ich ziehe meine Augenbraue hoch. „Ich suggeriere dem Tier, dass ich ihm nichts Böses will. Sondern was anderes. Nehmen wir an, ich suggeriere ihm, dass ich es küssen will. Und dann! Wenn ich nah genug dran bin … Bäm!“ Ich platze dazwischen: „Was? Dann frisst du sein Gesicht? Oder wo genau hattest du ihm suggeriert, es küssen zu wollen?“